Intro und Platten 1 & 2 sind hier…

DREI
PJ – Ten & Vs. (1991 & 1993)
Ich kann die beiden ersten Platten von Pearl Jam nicht trennen, weil sie auf einer TDK90 Cassette in meinem Walkman im ersten Berlin-Winter immer liefen. Immer. Mit Once raus aus der kalten Hinterhofwohnung, über mir graubreiiger Himmel, mit Why Go entlang siffiger Schöneberger Straßen, vorbei am blinkenden Gasometer, dann zu Porch rein in die S-Bahn und raus zur Uni – teigige Gesichter in Schals gewickelt bei Minus 15 Grad. Alive war ich zwar, aber mies drauf…

Irgendwann im Februar oder März, nach über 40 Tagen ohne Sonnenschein (ein Freund hatte mitgezählt), fing ich plötzlich im Supermarkt das Heulen an. Winterdepression kannte ich bis dahin nichtmal als Wort. Danach war klar, ein Gegengewicht muss her. Und scheiße, ich wohn doch in Berlin. Also mehr raus, mehr Delicious Doughnut Club, mehr Kellerbars durch Löcher im Boden zu betreten, mehr Becksbier und weniger Schlaf. Und Pearl Jam lauter hören. Therapie glückte.

Wegen dieser zwei Platten bewarb ich mich ein Jahr darauf für ein Auslandsjahr in Seattle – das ich bekam – voller Hoffnung natürlich, PJ in ihrer Heimatstadt live zu sehen. Die spielten dann mit neuer, fantastischer Platte No Code (immer noch die beste von allen!) in der Deutschlandhalle in Berlin („Umjubelte Antistars“ titelte Das Neue Deutschland) und ich lauschte dem Konzert in der Küche des Hauses in Seattle. Erst 2000, open Air Wuhlheide endlich live… und dann immer.
Funfact: Chris Cornelis Band Soundgarden, die sich mit PJ später den Drummer teilte, löste sich just auf, als ich Karten für ihr Konzert in Seattle hatte. Die sah ich schließlich vor ein paar 100 Leuten in Dortmunds FZW zur Reunion 2012.

VIER
Frank Sinatra, diverse (1970&80er)
Verbunden, wie könnte es anders sein, mit meinem Vater. Der hörte ihn. Und Fast Domino. Und Louis Armstrong. Das war die Musik seiner Jugend nach dem Krieg. Von Rock’n’Roll wie den Stones oder den Beatles gab es bei uns keine Platten. Dafür aber auch keine Schlagersscheisse.
Ohnehin spielte Musik keine große Rolle bei uns, mal abgesehen vom sonntäglichen Klassikpotpourri, das meine Mutter auflegte oder irgendwelchen Hit- oder Partysamplern, die man auf den vielen, sehr vielen Feiern bei uns zu Hause zu Pils und Schappes auflegte. 
Und irgendwann nach 2 Uhr auch Sinatra. Die „New York New York Platte“ (Trilogy: Past-Present-Future) natürlich, an der seit 1980 keiner vorbeikam. Da war Frank schon 64, die Platte mit all den Evergreens gehören eigentlich zu seinem zweiten, bis dritten Comeback. Power und Melancholie in Franks Stimme gepaart mit dem eigenen alkoholbedingte Schwermut nach dem Exzess machen diese Platte zum perfekten Abend-Abbinder.
Für meine Eltern damals – wie für mich heute – kam dazu wohl die leise Ahnung, dass die Zeit, die hinter einem liegt definitiv länger ist, als die Zeit, die noch vor einem liegt. Auch darüber singt Franky ja. It was a very good year. Dieser tolle Song ist zwar auf einer anderen Platte, aber für mich die Essenz des späten Sinatra.

FÜNF
Jackie McLean, It’s time (1964)
Ja, der Jazz. Altherrenmusik. Geliebt auch von Leuten, die so verengt Musik hören, dass sie fast alles jenseits von Jazz – und auch, was im Jazz nach 1970 (Miles Davis Bitches Brew Album) passierte – nicht interessiert. Leute, die endlos über Fingertechnik oder Aufnahmesysteme oder Synkopen erzählen und dabei ihre Goaties zwirbeln. Klischees ihrer selbst. Lehrer hören Jazz.

Jazz war aber mein Punk – nur ohne Lederjacke. Genau so wild und frei und im Moment wie Pistols oder Ramones – nur vielleicht nicht so dreckig und laut. Das offensive „DagEEEEgen!“ hatte der Jazz nicht. Dafür ein etwas abgehobenes „Fuck Off“, das mir gefiel. Nämlich „Fuck off, wenn ich es dir erklären muss, wirst du es eh nie verstehen.“
Jazz war den meisten Bekannten und Freunden nichtmal interessant genug, ihn scheiße zu finden. Für mich öffnete er kulturell Türen zu Literatur und Filmen der 50er & 60er Jahre, zur Afro-Amerikanischen Kultur und sogar zum Blues, den ja eigentlich kaum jemand unter 30 hört. Ich spielte mit 20 sogar in einer Blues Band (für Jazz war ich nicht gut genug). Und selbst HipHop, der mich damals nie packte, konnte ich über den Umweg des Jazz (Jazzmatazz, Spike Lees Mo Better Blues, Us3, MS Solar, The Roots) ertragen.

Meine CBGB Momente waren 1989 zwei Sets im Village Vanguard und eine Session im Smalls in New York, wo ein paar 14-19 Jährige einer nach dem anderen für ihr Solo auf die Bühne gingen – und j.e.d.e.r einzelne alle Musiker, Profis und Amateure, die ich bis dahin in deutschen Clubs so hatte spielen sehen, in nur 8 Takten erledigt hätten. Danach fuhren wir jedes Jahr aufs North Sea Jazz Festival in Den Haag und gingen Plattenkaufen, begannen Instrumente zu spielen und trugen sogar mal Westen.

Jackie McLean entdeckte ich wie das vierblättrige Kleeblatt in einer Kleewiese erst vor einigen Jahren. Aber als ich sein Art Saxophon, seine Stücke und die Improvisationen hörte, wusste ich es: Das ist er – mehr sogar als Coltrane oder Stitt, Rollins, Adderley oder Carter – das ist mein Sound. Frei und harmonisch, zeitweise am Free kratzend, dabei so hard wie blues aus Bird Parker und Branford Marsalis. McLeans Platten laufen immer, wenn ich nicht weiß, was ich hören will oder nicht weiß, was was gerade los ist. Danach ist’s wieder klar: It’s time!

SECHS
Radiohead- Ok Computer (1997)
Noch ein Beleg dafür, dass prägende Bands lang an einem vorbeigehen können und dass da draußen Musik existiert, in die man eintauchen könnte, die fantastisch, klug, vielseitig, bewegend, politisch und komplex ist, die man lieben kann – aber von der man NICHT weiß. Und ein Beweis, dass prägende Musik immer auch mit prägenden Lebensphasen zusammenfällt.

93 hörte ich Creep bestimmt auf Studentenparties. Aber da lief ja viel Indiezeug oder Crossover und bemüht rebellisches Zeug. Auch das zweite Radiohead Album – nie bewusst gehört. Erst Ok Computer, wie so oft eine Empfehlung von den Besserhörern in meinem Umfeld, schlug die Tür auf. Und die ist nie wieder zugegangen.
97/98 war dann aber eben auch persönlich Umbruch, Studium zu Ende, Beziehung zu Ende, Reise back to Seattle, back to some old Love Affairs, scheißteure Telefonate mit Hongkong von Münzfernsprechern an irgendeinem Motel und dabei Ok Computer im Ohr.…Paranoid Android – das war ich. Und With no alarms and no surprises wäre ich gern gewesen – stimmungsmäßig.
Neben Pearl Jam (siehe oben) und Arcade Fire (Gründe siehe hier) ist Radiohead vermutlich die dritte Band, deren Werk ich auf die einsame Insel mitnehmen würde.
Unvergessen das Konzert am 11. September 2001 in der Wuhlheide, wo es mangels Handys für alle eine Menge Zuhörer gab, die noch gar nicht wussten, was passiert war – und dann von Thom Yorke und Band durch einen sehr seltsamen Abend begleitet wurden. „Nichts, aber auch gar nichts gibt es zu sagen“, meinte York bloß Und dann meinten Radiohead, dass egen Trauer und Wut  nur reiner Rockrausch helfen. Und den gab es.

SUPERZAHL
Message in a Box – The Complete Recordings of The Police
Supersuperschwer diese Auswahl. Am Platten und CD Regal gehe ich erst gar nicht vorbei, weil dann werden zig unmögliche Entscheidungen nötig. Also einfach Erinnerungen und Namen kommen lassen. Und dann geht kein Weg vorbei an dieser Band. Eigentlich das einzige Trio jenseits Jimmy Hendrix, Nirvana und ZZ Top, das mit 4 oder 5 Leuten auf der Bühne nur verloren hätte.
Stewart Copeland ist für mich als Ex-Drummer Gott gewesen. Genau die Kombi aus technisch genial, dabei voller Stil und Kraft und eigenem Sound und Kopf und musikalischem Verständnis. Mit Sting als Songschreiber und dieser großen Stimme und Andy Summers als stilles Genie an der Gitarre.

Ich mag von Police alle Alben und jeden Song – und musste doch wie bei so vielen Bands (REM, Genesis, Level 42, Simple Minds …) als Jungspund erstmal feststellen, dass sie schon länger Platten machten – Platten, die mir dann sogar meist besser gefielen als die Platte, mit der ich sie kennenlernte. Bei Police war meine erste ihre letzte LP: Synchronicity.

Die VHS Cassete von einem Konzert der dazugehörigen Tour habe ich Jahre später zig mal gesehen bei dem Versuch Copeland seine Drum Breaks und Hi-Hat Zaubereien zu entlocken. Zu dem Konzert 1983 in der Westfalenhalle hat mich aber leider keiner meiner Geschwister mitgenommen. Was wohl aus mir geworden wäre? Vielleicht wäre die Matt Bianco / The Curiosity Killed The Cat-Popper-Phase an mir vorbeigegangen und ich hätte ohne Umwege Qualität und Eigensinn in der Musik gesucht statt im Mainstream mitzuschwimmen.

Bis ich so 87/88 ans Ufer gespült wurde und von da an zu Fuß gegangen bin – mit vielen guten Scouts im privaten Umfeld und Entdeckungen auf nächtlichen Autofahrten im Radio und Plattenverkäufern mit Ahnung. „Mein System kennt keine Grenzen„, sangen Blumfeld. Und so höre ich schon immer Musik.
Falls Musikgeschmack einen Charakter spiegelt, dann bin ich dort wie hier genau der neugierige Allrounder ohne Spezialwissen. Ich will das gleiche Feeling immer wieder und dann doch was Neues, ich will überrascht werden, aber auch bestätigt, ich will mal umgehauen werden und wieder aufstehen und mal in einem roten Sessel sitzen und nur zuhören.

In den 49 Jahren stecken noch mindestens 6×6 Alben von:
Talk Talk, Neil Young, Jack Johnson, The Dandy Warhols, Noir Desir, The Frames und Glen Hansard, Calexico, Sade, Michael Jackson, Ani di Franco, The National, Bronski Beat, Catpower, Fink, Pino Daniele, Herbert Grönemeyer, Hothouse Flowers, Arcade Fire, Tricky, Prefab Sprout, Morrissey, U2, Bonnie Prince Billy, Modest Mouse, Falco, Modest Mouse, Hayden Bruce Springsteen, Damien Jurado, PJ Harvey, Grandaddy, Billy Idol, Alanis Morissette, The Eels, Lenny Kravitz, Elton John, Nick Cave, Mogwai, Fiona Apple, Benjamin Biolay, Dead Can Dance, Oasis, Blur, Brand New Heavies, Supergrass, Frankie Goes to Hollywood, Paul Weller, The Verve, Björk, Portishead, Massive Attack, David Bowie, LCD Soundsystem, Bob Dylan, Miles Davis, Joshua Redman, Tilmann Rosmy, 16 Horsepower und David Eugene Edwards, Metallica, Rachmaninov, The Doors, Maceo Parker, und Steve Reich, Living Colour, Red Hot Chilli Peppers, Sceaming Trees, Nirvana, Smashing Pumpkins, The Tea Party, TAD, Rage against the Machine, Madrugada, The Stone Temple Pilots, Simply Red und Tori Amos.