Schreiben hat ganz viel, sehr viel, eine Menge – ich sage es gern nochmals: unheimlich viel mit Lesen zu tun. Und es hat mit Orten zu tun. Und mit der Tatsache, dass alles, die ganze Welt um uns, unser Bewusstsein, bis hin zu Werbung und Unternehmen aus Geschichten bestehen. Aus „Storytelling“, aus der einfachen Abfolge „Erst war das, dann passierte jenes und schließlich….,“. Außerdem meist aus einer Drei-Akt-Struktur, aus der Reise des Helden, aus dem Überwinden von Widerständen und der schließlichen Erlösung und Verwandlung. Das gilt seit der Antike und wird noch gelten, wenn Roboter Romane schreiben.
Ich will kurz schildern, wie Bücher und Autoren, wie Bibliotheken und „buchige“ Orte auch in der digitalen Welt paradoxerweise weiter einen viel größeren Einfluss haben, als ihre schiere Zahl vermuten lassen würde. Kurz gesagt: Warum lesen, wenn man alles andere auch tun könnte? Weil wir uns und die Welt und vor allem alles aus Text verstehen lernen.
Nur aus Lesern werden Autoren
Es gibt im Grunde keinen Autor oder guten Journalisten, ja selbst keinen ernstzunehmenden Texter in einer Agentur, der nicht auch irgendwann in seinem Leben sehr viel gelesen hat. Oder es sogar noch tut. Dabei spielt es eigentlich keine Rolle, ob Romane, Kurzgeschichten, Gedichte oder Sachbücher – nur sprachlich müssen sie etwas haben, das besonders oder gut oder passend bis packend ist. Und, die Bücher müssen in Massen genossen worden sein.
Was nicht zählt, sind Überschriften & Teaser von Nachrichten im Internet oder Social Media Postings. Ausnahme: Auffällig gute, witzige, kluge Postings. Da sollte man genau schauen, wie der Autor das macht und lernen. Vermutlich wird man feststellen, dass die Postings vielschichtig, dicht und klar sind und es schaffen Bereiche verknüpfen, die auf den ersten Blick nicht zusammenhängen. Und vermutlich würde man auf Nachfrage erfahren, dass der oder die Betreffende, sehr viel liest oder in seiner Jugend gelesen hat oder sehr viel ins Kino geht – was dem Lesen der nah kommt.
Alles, was wir verstehen und erleben, besteht aus Geschichten
Viele spätere Autoren haben in jungen Jahren Bücher verschlungen und damit ohne es zu bemerken (und auch völlig unabhängig, ob man hohe Literatur oder Stephen King liest) beim Lesen Wörter, Sprache, Methoden und eine Struktur für eine funktionierende Geschichte gelernt. Geschichten umgeben uns. Im Bezug auf Marken oder Produkte oder Unternehmen nennt man sie beispielsweise „Storytelling“. Da wir vor allem aus Geschichten bestehen, unsere eigene Geschichte unserem Tagebuch oder der neuen Bekanntschaft erzählen, den Eltern von Ereignissen des Tages erzählen, den Freunden von Begegnungen mit besonderen Menschen oder Momenten so erzählen, dass sie vielleicht verstehen, warum das Erlebte so toll war – weil von der Religion über die Mythologie bis zum Sportteil in der Zeitung und der Marke in der Werbung ALLES durch eine Geschichte erzählt wird, kann eigentlich jeder Leser zwischen „gut“ und „nicht so gut erzählt“ unterscheiden.
Auch wenn nicht jeder das gleiche gut findet oder erklären kann, warum er etwas gut findet oder auch nicht, Und auch wenn nicht jeder eine Geschichte schreiben kann, die funktioniert, ja viele nichtmal einen Witz erzählen können, der funktioniert – eine gute Geschichte genießen, können wir alle. Und die Macht von Geschichten können wir jeden Tag beim Zeitunglesen, fernsehen (Filme natürlich, aber auch Dokus und sogar Fussballberichterstattung ist narrativ mit Spannungsbögen und Helden), in modernen Werbeclips, bei PR Kampagnen oder eben: – Achtung – in einem Buch erleben. Sie sind überall.
Wie Lust entsteht – #bookporn meines Lebens
Warum lesen? Weil Geschichten verstehen lernen, die Welt verstehen lernen bedeutet. Und weil Lesen (die Freude an Geschichten, fremden Welten und Menschen, an Erfahrungen, die man nicht selbst macht, an Fantasiewelten, die man betreten darf…) einen sicher genauso zu dem Menschen macht, der man ist, wie die Freunde, die Musik und die Architektur oder Landschaft, die einen umgibt.
Ich erinnere mich, dass allein das Betreten der Bücherei, ein schlichter, behördenhaft riechender Bau im Zentrum von Dortmund, mir damals Lust bereitet hat, Vorfreude auf die Comics und später Vorfreude auf den Rückzug in einen Roman, den ich ebenso froh nach Hause trug, wie die neuste Schallplatte von Simple Minds aus dem Plattenladen „Life Musik“. Während des Studiums war die Bib meines Instituts in Bonn eine Villa Kunterbunt voller Bücher und versteckter Leseecken und die Bib der FU Berlin ein Klotz von Bau mit Millionen von Büchern, nebeneinander gereiht und nicht thematisch sortiert, so dass ich mehrmals Entdeckungen machte, aber auch mehrmals kurz davor war, das Studium zu wechseln, weil ein dermaßen interessantes Buch neben dem gesuchten Werk über die Kanzlerschaft von Willy Brand stand.
In den USA verlor ich die Zeit und viel Geld in den örtlichen Second Hand Bookshops mit angeschlossenen Cafés (damals noch eine total ungewöhnliche Kombi) und in der Kathedrale der Uni Bib (ein Kirchenschiffbau mit Steinwänden, langen alten Holztischen, Ledersesseln und Messinglampen wie in Hogwart) verbrachte ich neben den erwähnten Cafés die meiste Zeit. Oder in meinen Lesesessel vor dem farblich mehrfach wechselnden Himmeln eines Sonntags in Seattle. Nach dem Studium war die Bundestagsbibliothek mein Ort: Jeder neue Roman, alle in den Feuilletons besprochenen Bücher und auch scheinbar alles Ältere, das mich interessierte, war mit einem Klick am nächsten Tag in meinem Büro. Und weil eine gut bezahlte Halbtagsstelle mit wenig Arbeit eben viel Zeit lässt, habe ich glaub ich nie so viel gelesen, wie in den Jahren. Kein Wunder, dass irgendwann der Gedanke entstand, selbst zu schreiben.
Es ist nie genug geschrieben worden
Heute liebe ich weiter Buchhandlungen, gehe in jeder Stadt die ich besuche in Antiquariate und – so vorhanden – die Bibliothek. Nicht zum Lesen, sondern zum Stimmung-saufen, Leselust wecken und Schreiblust triggern. Und zur Einschüchterung wie Ermunterung: Denn es ist sooooo viel geschrieben worden, wie soll das Eigene da eine Rolle spielen? Zugleich: Was spielt es für eine Rolle, ob das eigene Buch mal gelesen wird, wenn ein Exemplar mal in der wunderbaren Stabi steht oder in dem wilden Buchladen Shakespeare&Company in Paris? Dann kann ein Buchrücken unter 1000enden ein Teil einer Verwandlung sein, Anlass zu Denken und Wunsch zu verstehen, Impuls zu schreiben oder Kribbeln im Bauch, das neue Buch aufzuschlagen.
Hier Bilder der schönsten Bücherhäuser der Welt – wer weiß, in wem es die Lust weckt, es selbst mal zu versuchen.