Habe lang gescheut, sie als CD zu kaufen, in meinem Schrank ja die LP Collectors Edition in fleckig, weiß, goldenem Vinyl, hundert mal gehört. So lang gehört, bis Plattenspieler 1990 out waren, jetzt wieder in sind – meiner aber kaputt ist. Hunderte male habe ich auch das Tape gehört, damals im Jahre 1985/86: Simple Minds Platte – Once Upon a Time. Meine Initiation in die Musikwelt.
Bis zu einem denkwürdigen Nachmittag, hatte ich in Dortmund Grafittis in Straßenunterführungen und an Brücken mit dem Schriftzug „Simple Minds“ gesehen, aber negativ beeinflusst von Poppermusik, Popperfreunden und Poppergeist, wusste ich nichtmal, dass es eine Band war.
Schuld war Eva – die mir (Achtung Kalauer!) musikalisch den berühmten Apfel reichte – und ich biss gierig hinein. Eva läuft heute unter der alles erklärenden Formel: meine erste Freundin. Eva war 13 und großer Fan von Boris Becker, dem ich angeblich ähnlich sah. Sie hatte eine Schublade, die ich niemals, unter keinen Umständen öffnen durfte – was ich natürlich irgendwann tat, nur um darin stapelweise Fotos und Zeitungsschnipsel von B.B. zu finden und eifersüchtig zu werden – wie man so ist mit 14.
Aber als ich nach einem harmlosen Nachmittag mit Eva, abends heimfahren wollte, hatte ich einen Platten am Fahrrad und ging zurück, überraschte sie dabei, wie sie gerade „Whish you were here“ von der Once Upon a Time Platte auf Cassette für mich aufnahm und den Text des Songs für mich abschrieb in ihrer geschwungenen Mädchenschrift. Und als wäre der Titel ein Zeichen, nahmen wir es als solches und es folgte: der erste Kuss. Bald besaß ich alle Song-Texte der Simple Minds Scheibe in Evas Handschrift und lernte fleißig auswendig. Ich wurde zum Simple Minds Fan, kaufte Pop Rocky, Bravo, wenn die S.M. erwähnt wurden, ich malte mit Lackstiften das S.M. Logo auf alle Mäppchen, Taschen, Tische, Heftrücken und Lateinbücher, die in meine Nähe kamen.
Simple Minds und Eva gehörten zusammen. Ich wollte wissen, was ihr gefiel, wollte von ihr lernen und Gemeinsamkeiten haben.
Ich widersetzte mich lang den Einflüssen anderer, die gute Musik zu bieten hatten, blieb dem klebrigen Teenie-Popper-Pop treu. Mein Bruder hörte ’85 Bowie und Ideal, aber Brüdern hört man selten zu. Es gab noch einen Jungen aus einer Nachbarstraße, der lieh mir Meat is Murder von The Smith, auch 1985 – zu heulige Stimme, zu traurig fand ich. Der Vater eines Freundes hatte Metallica im Schrank, auch Led Zepplin und Zappa, die alten Haudegen und die neuen – alles nur irritierend. Ich hörte tatsächlich Glen Miller aus der Plattensammlung meines Vaters uns Italo Boot Mix…
Die Simple Minds trafen mich zur richtigen Zeit, um schlimmstes zu verhindern. Sie waren zugleich melodisch, modern, rockig und dabei mit den Synthi Klängen im klassischen 80er Sound. Dazu das poltische Sendungsbewusstsein und die Ernsthaftigkeit, die jetzt immer besser passte. Simple Minds war auch eine Band mit Geschichte, entgegen den One Hit Wonders, die sonst unterwegs waren. Sie hatten vor Once Upon a Time schon sieben LPs gemacht (drei davon allerdings Flops), die wie Kometen weit entfernt an meinem Planeten vorbeigezogen waren. Unsichtbar für das ungeschulte Auge.
Doch wie es bei mir oft musikalisch war, ging der Blick auch nach der Entdeckung von Once Upon a Time weiternach vorn, und erst viel später zurück. Die alten Platten der Simple Minds hörte ich mir nicht an, sie interessierten mich überhaupt nicht. Ich wollte nicht wissen, wo die Simple Minds herkamen, sondern fieberte der neuen Platte entgegen, der neuen Maxisingle Auskopplung. Ein Privileg der Jugend: man MUSS nicht die ganze Geschichte kennen, um was gut finden zu dürfen.
Mein Schulkamerad Elmar überraschte mich eines Morgens mit der Aussage, er fände Oh Jungleland das beste Lied der Platte, dabei war es doch Konsens und Mehrheitsmeinung, dass Alive und Kicking, die Hitsingle das Beste sei. Und ich hatte wieder etwas gelernt: LPs hören heißt Differenz zulassen, heißt Individualismus und Debatte bei gleichzeitigem Grundkonsens über die Qualität einer Band. Es ging um Details, Stimmungen, Akzente, Dynamik einzelner Songs in einem Gesamtkunstwerk.
Bis dahin hatte ich fast nur Singles und Maxisingles gekauft, was eben grad in den Charts war, und somit den künstlerischen Anspruch einer LP, die Details und binnenmusikalischen Debatten über eine Band gar nicht begreifen zu können. Im Schicksalsjahr 1985 traten gleich mehrere LPs in mein Leben: World Machine von Level 42, eine Empfehlung eines Klassenkameraden, und Picture Book von Simply Red, eine Platte meines Bruders, die nur noch bei mir stand irgendwann. Sicher: nicht gerade abseits der Pfade, Mainstream, aber sie eröffneten Richtungen: Level 42 zum Funk, Simply Red zu Soul und Jazz.
Am 13. Januar 1986 aber kamen die Simple Minds nach Dortmund. Endlich. Aufregung schon Tage vorher. Bin mit einer ganzen Gruppe hin, Eva war auch dabei, zu der Zeit längst nicht mehr meine Freundin, aber die Verbindung hielt. Keine Erinnerung mehr an die erste Stunde des Konzerts. Aber als alle bei Alive und Kicking hüpften, brach unter uns die Schräge der Radrennbahn im Innenraum der Westfalenhalle zusammen. Alle stürzten und rutschten die Schräge hinunter, Eva mit den Beinen in den Spalt, gerettet von Holger dem Hühnen – kurz Panik doch schnelle Beruhigung. Die Katastrophe gerade noch verhindert, niemand ernsthaft verletzt. Kurze Konzertunterbrechung. Heute hätte man das Ganze abgeblasen, die PR Abteilung und Krisenmanager aus dem Schlaf geklingelt, Katastrophenalarm und schon mal beim Anwalt angerufen. Dieses Konzert ging einfach: Weiter, weiter, und an diesen Teil des Konzerts erinnere ich mich haargenau: euphorisiert und ganz wach, jeder Song durch Mark und Bein, Tränen in den Augen.
Wir spürten wie knapp es war, wie eng Leben und Tod beieinander liegen können, wir waren jetzt und hier – am Leben.
Simple Minds forever. Na, fast. In der Mega-Betroffenheitsphase von Real Life (1991) bin ich ausgestiegen. Ich war musikalisch weitergezogen. Aber Once Upon a Time ist die Platte des beginnenden Bewusstseins: musikalisch und überhaupt. Danke Eva, danke Jim. Und wenn die Band in diesem Jahr 2016, exakt 30 Jahre später, bei NIGHT OF THE PROMS verhökert, kann ich entweder traurig werden, oder mal hingehen, um zu sehen, was noch da ist.