Das Buch Menke/Rebentisch (Hrsg.): Kreation und Depression – Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus ist ein Sammelband über die Frage, wie arbeiten wir heute, oder genauer: wie lässt uns der Kapitalismus in seiner gegenwärtigen Form arbeiten, besonders in den so genannten kreativen Berufen (und damit sind eigentlich selten Künstler gemeint). Kreativwirtschaft, oder wie es zwei Autoren nennen: „la cité par project“, das sind die die Projektritter in Wissenschaft und Kultur, die Netzwerker vor dem Herrn und Zeitverträgler dieser Welt. Sie sind die Speerspitze der Flexibilät und Bewahrer der kapitalistischen Dynamik.

Allem voran haben die Herausgeber (natürlich) den Franzosen Deleuze gestellt, der mit granatenhaften Sätzen auf das Kommende einstimmt. So z.B. diesen: „Man bringt uns bei, dass Unternehmen eine Seele haben – was wirklich die größte Schreckensmeldung der Welt ist.“ Sehr schön. Aber wie man dann weiter liest, ist es noch viel schlimmer!


Aktivität ist heute gleich Arbeit, die Unterscheidung von Arbeit und Nichtarbeit ist kaum möglich. Besonders, wenn man in die „Kreativquartiere“ dieser Welt blickt, wo junge, offenbar nicht immer gut verdienende Menschen, trotzdem viel Café Latte trinken, Markenklamotten tragen, an Laptops für über 1000 Euro tippen oder eben irgendwelche „Projekte“ machen. Die schiere Aktivität ist heute die Währung des Erfolgs – nicht mehr unbedingt Fertigkeiten, Erfahrung oder so etwas Verschnarchtes wie der Aufstieg in einem Unternehmen. Nein, wir sind selbst unser Unternehmen. Und das 7/24!

Aktivität heißt, sich in Projekten zu integrieren oder selbst welche zu starten, es heißt in Netzwerke einzudringen und sich selbst zu einem Knotenpunkt zu machen, es heißt dabei sein und freundlich sein, zugleich sich selbst voranbringen und andere ausstechen. Der unsichere aber dynamische Arbeitsmarkt mit seinen unüberschaubaren Gesetzmäßigkeiten hemmt die Projektritter nicht, sondern treibt sie an. Hier ist Amerika in Europa angekommen. Denn was hier beschrieben wird, ist in den USA nicht Anlass für Sorgen – höchstens, weil man genau diese Welt bewahren will. Sillicon Valley oder New York leben von dieser Energie. In Europa wird sie als “Exzess mit folgender Depression“ beschrieben. Die nämlich folge, weil im Kreativwirtschaftsmarkt jeder nur sich verantwortlich ist. Wer einst über das Prestige von Jobs in Medien, Film, Kultur etc. hoffte, den Glamfaktor und zugleich die erhoffte Form von Selbstverwirklichung zu finden, findet sich nicht selten ein paar Jahre später ausgebrannt, immer noch ohne Sicherheit (erst abgelehnt, dann kein Geld dafür), immer noch ohne Familie (keine Zeit) und irgendwann auch ohne den Beat und die Bereitschaft, die es braucht, mitzumischen in Berlin und Hamburg, in Köln und New York.

Immer wieder wird auch über Kapitalismuskritik gesprochen, die sich laut Autoren grob in zwei Bereiche gliedert: Zum einen die „Sozialkritik“, also Löhne, Arbeitsrechte, Mitbestimmung, Urlaubstage etc.. Sie will die Verhältnisse, in denen gearbeitet wird, verbessern. Die andere – und dort liegt der Schwerpunkt dieses Buchs – ist die so genannten „Künstlerkritik“ am Kapitalismus. Sie thematisiert die Unterdrückung, die Herrschaft des Marktes, die Uniformierung der Produkte und Transformation aller Gegenstände in Waren. Sie glaubt an das Ideal von Autonomie des Einzelnen und der Entfaltung von Authentizität.
Beide Kritiken haben über die letzten 200 Jahre den Kapitalismus in seiner Form verändert, die Künstlerkritik allerdings in einer Weise, die uns heute sehr zu schaffen macht. Vermutlich weil die erfolgreichste Strategie des Kapitalismus darin liegt, seine Kritiker irgendwann alle zu umarmen und deren Ideen leicht verändert in sich aufzunehmen, marktfähig zu machen und zu verkaufen.

Mit dem Versprechen, man könne mit sich selbst als Produzent und gewissermaßen Produkt, nicht nur Geld verdienen, sondern auch glücklich werden, lockte das die jungen Werbemenschen, PR-Manager, Agentur- und Medienheinis, Kreativlinge und Sinnsucher, die Film-, Fernseh- und Theaterpraktikanten an. Doch, wie René Pollesch so schön schreibt, könnten sie alle, statt immerzu zu warten, dass ihre Gelegenheit komm und zu netzwerken, bis das iPhone glüht, möglicherweise in der guten alten „Entfremdung durch Arbeit“, in ihrem „Restleben“ mehr von sich selbst finden, als an den coolen, sexy Projekten in der Kreativwirtschaft. Weil da ist Selbstausbeutung das Ticket zum Dazugehören.

„Werde, was du bist, und du wirst sein, was wir brauchen“ formuliert es Ulrich Bröckling treffend in seinem Brainstorming über Kreativität. Er lässt den Leser auch einen Kreativitäts-Test von Niklas Luhmann durchführen, der am Ende ernüchternd ergibt: Man ist kein kreativer Mensch, wenn man den Test machen will. Haha.

Ein ganzer Aufsatz von Alain Ehrenberg widmet sich der Depression in ihrer heutigen, durch Kapitalismus hervorgerufenen Form. Parallel zum Niedergang „disziplinierter“ Wesen des frühen und mittleren Kapitalismus, entwickelten sich seiner Meinung nach  zwar freiere Marktteilnehmer, aber die Erkrankungen an der Seele, die Überforderung durch das Selbst-Wissen & Machen-Müssen nimmt zu.

Aus dem Ideal der kreativen Selbstverwirklichung ist die Pflicht geworden, es zu tun. Die deprimierte Person ist dem Prozess der „Selbstwerdung“ nicht gewachsen. Der Wert der Disziplin rangiert heute unter dem der Autonomie, der mehr Prestige, höhere Effizienz und Verwertbarkeit und für mehr Respekt steht.

Volksbühnen Dramaturg Carl Hegemann zeigt den Ausweg: „Freiheit ist, grundlos etwas zu tun.“ So ermutigt beendet man die Lektüre und das laufende Projekt. Sucht Festanstellung und Beruhigung, festes Gehalt und 2 längere Urlaube im Jahr. Ob das die Lösung ist. Man merkt dem Buch an, dass die Digitalisierung in ihrer gesellschaftsumwälzenden und Arbeitswelt-revolutionierenden Art für die meisten Autoren „Neuland“ ist. Dass sie die Dynamik von jungen Unternehmen und Start-ups und der Bereitschaft der dort Arbeitenden, Risiken einzugehen, und am Ende nichts oder viel Geld zu haben, mit ihren Post-70er-Ideologien nicht mehr erklärbar sind. Dass die Künstlerkiritik am Kapitalismus oft genug verlogen ist, weil die Kunst (ob gewollt oder ungewollt) einer der dynamischsten und – beim Blick auf Preise für Produkte – krankesten Teil des Kapitalismus gehört.

Anregend und verstörend, erheiternd und erklärend, veraltet und verkopft – all das versammelt das Buch.