Das Saarland als kleinste Flächenland der Republik, in Randlage, eingequetscht von Frankreich, Luxemburg und Rheinland-Pfalz, in seiner Geschichte mal französisch, dann preußisch, dann international, dann kaputtgebombt, dann bundesdeutsch wieder aufgebaut und ab 1955 auch regiert. Saarbrücken und Umland sind eine fotografische Fundgrube für architektonische Vergehen der letzten Jahrzehnte und verstrahlen an vielen Orten eine Aura irgendwo zwischen Malocher Ruhrpott der 60/70er Jahre – mit einer Prise ganz eigenem, kleinstädtisch-zeitlosen „Schwenker“-Charme.

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Als Kind des Ruhrgebiets erschließt sich die meist schmutzig-funktionale oder bemüht protzig-verspiegelt daherkommende Architektur der Stadt recht gut. Die alles dominierende Montan- und Stahlindustrie prägte nämlich auch die Bauten und Stadtplanung meiner Heimat Dortmund. Die an Saarbrücken angrenzenden Städtchen Saalouis, Völklingen und das etwas weiter entfernte Neunkirchen sowie die beiden Städtchen Forbach und Stiring-Wendel auf der französischen Seite sind von Schnell-, Durchgangs- und Bundesstraßen, von breiten Bahntrassen und Autobahnen durchzogen, es reihen sich am Rand Supermärkte und Baumärkte und Tankstellen und Gewerbegebiete aneinander und die Straßen der Innenstadt sind durch schmucklose Rauputzkästen zubetoniert. Saarbrücken wirkt wie in die Täler der Landschaft gerutschter Beton mit Fenstern. Die Straßenzüge sind dabei auf eine eigenartige Weise ortsungebunden, finden sich genau so auch in Hagen, Oberhausen, Gelsenkirchen oder Vierteln von Köln, Stuttgart oder Frankfurt – Zweiter Weltkrieg, wir danken Dir. Stadtplaner der 60er und 70er, Euch auch.

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Ausnahme im tristen Vier-Stockwerk Schuhkarton Einerlei, den vierspurigen Ein- und Ausfallstraßen und gesichtslosen Zweckbauten der Behörden und Kaufhäuser, sind in dieser Hinsicht die meist recht kleinen Altstadtkerne in Saarbrücken oder Saarlouis. Rund um die Marktplätze und entlang der Einkaufsstraße sind einige Altbauten erhalten oder nach dem Krieg wiederaufgebaut worden und auch wenn sich dort eine Ladenkette an die nächste reiht und gleichförmig gestylte Kneipen und Restaurants beherbergen, so erkennt man wenigstens eine gewissen Gestaltungswillen und Wunsch nach Schönheit, der Saarbrücken ansonsten fehlt. In der Stadt musste es nach dem Krieg schnell gehen und billig sein und alle sollten möglichst schnell zur Arbeit und wieder nach Haus, Güter und Material durch die Stadt kommen – und so sieht es dort eben auch aus.

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Wo der Dortmunder mangels anderer Attraktionen der Stadt auf Bier, Fußball und Shopping verweist, ist es für den Saarbrücker sehr ähnlich – nur ohne Fussball.
Wie es auch den Ruhrgebietsstädten an urbaner Schönheit mangelt, so geben auch in Saarbrücken leider nicht der Fluss und die Auen an seinen Rändern, der Stadt ihr Gesicht. Das gibt ihr die Industriegeschichte und die Autobahn, die entlang der Saar die einzig ebene Fläche und auch den einzig breiteren Grünstreifen auf voller Länge durchzieht und im Sommer die einzigen Wiesen und Biergärten der Innenstadt durch ihr Dauerdröhnen nicht gerade zu gemütlichen Orten macht. Überlegungen dieses Planungsverbrechen rückgängig zu machen, die Autobahn unter die Erde zu legen oder zu übertunneln, gibt es seit Jahrzehnten, aber mit Verweis auf die hohen Kosten, ist nie etwas geschehen. Und das obwohl auch der Saarbrücker Landtag auf der einen Seite ein Schloss und auf der anderen direkt an der Autobahn liegt. Stattdessen ereifert man sich in den lokalen Medien und Leserbriefseiten über einen Neubau des Kunstmuseums, das erste moderne und architektonisch ansprechende Gebäude seit 20 Jahren, und ist sich nicht zu Schade, die 20×20 Meter Rasenfläche, die dadurch überbaut würde (übrigens mit Blick auf die Autobahn) als Argument gegen den Bau anzuführen.

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Dabei ist nicht der Museumsneubau das Problem. Die Kritiker, übrigens alle Nachbarn des Museums, müssten nur mal nach Düsseldorf fahren, eine vom Krieg ähnlich ramponierte Stadt mit Altstadtkern und Fluss. Dort hat man die Uferpromenade wiederbelebt, indem man die Straße unter die Erde legte und die ganze Stadt gewinnt an Charme und Grün. Der Saarbrücker aber liegt in diesen Tagen des Frühsommers auf der Wiese oder sitzt im Biergarten – 40 Meter Luftlinie neben der Überholspur der A 620. Ein dickes Fell, bzw. schlechte Ohren hat er jedenfalls.

Der Ehrlichkeit halber muss man allerdings sagen, dass es noch schlimmer geht: Völklingen. Dieses Städtchen wurde schon in den 60er Jahren zu Recht zur hässlichsten Stadt Deutschlands gewählt und konnte seitdem auch wenig daran ändern. Die Industrie ist zwar weg, die Völklinger Hütte zur rostenden Industrieruine und Weltkulturerbe geworden, aber an den städtebaulichen Lebensverhältnissen hat das dort nichts geändert.

„Du bist ne ehrliche Haut, leider total verbaut“, sang Grönemeyer über Bochum. Das stimmt auch für Saarbrücken. Und am Ende kommt es nicht auf Häuser, sondern auf die Menschen an, die darin wohnen. Aber wenn die Umgebung irgendeinen Einfluss aufs Gemüt hat – und daran glaube ich – wenn Architektur glücklich oder dumpf machen kann, dann wird man bei einem architektonischen Rundgang eher letzteres – oder es war das Pils und die Lyoner vom Schwenkgrill.

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Der Text stammt vom alten Blog SCHREIBSTUBE, aus dem Jahr 2008