Die Zahlen 1-3 plus Intro HIER.
Und weiter geht es mit dem Zitatereigen der letzten 49 Jahre…

VIER:

Wenn zu perfekt liebe Gott böse.
(Nam Jun Paik)

Ich bin kein Fan von Videokunst. Das meiste Zeitgenössische ist mir zu prätentiös, hingehudelt oder unnötig verrätselt und behauptet viel Bedeutung. Und dann gibt es ein paar die könnte man (fast) perfekt nennen (z.B. diese oder diese). Sie sind es natürlich nicht.
Wer kreativ ist, dem stellt sich irgendwann die Frage nach Qualität. Was ist gut, was ist Mist? Und warum verdammt nochmal gibt es dafür keine Formel? Ob Maler_in, Musiker_in, Autor_in, Filmemacher_in, Bildhauer_in, Dichter_in, Schauspieler_in oder Komponist_in – alle suchen und suchen meist ihr Leben lang und schaffen dabei Kunst, lebendige, erhellende, bereichernde, packende Kunst. Aber bestimmt nicht perfekte Kunst.

Perfektion meint das Beste vom Besten? Fehlerlos? Makellos? Mmmh…
Die kleinen Ungereimtheiten und Macken machen Kunst (und das Leben!) interessant. Tolle Kunst steht am Ende von Gedanken und Zufällen und handwerklichen Fehlern, von Missverständnissen und Widersprüchen und Können plus Zeit.  Sie spenden Luft und Raum zum Denken.
Als gar nicht seltsam, dass gerade in einer Gesellschaft wie Japan, die in so vielen technischen und handwerklichen Bereichen nach Perfektion strebt, auch das Konzept von Wabi-Sabi, eine Art absichtlich hergestellte Unvollkommenheit und Nicht-Perfektion erfunden wurde, die wunderschön ist.
Die perfekte Frau? Den perfekten Mann? Der perfekte Urlaub? Gott wie öde. Perfektion ist im Moment. Sonst liebe Gott böse. Und wir inmitten der großen Frage, warum „Gott“ die Welt so seltsam unvollkommen zusammengezimmert hat. Mein Glaube: Damit wir wach und bereit und am Leben sind.

FÜNF:
Der Dude packt das.
(Jeffrey Lebowski)

Ein Kultfilm ist ja eigentlich nur ein Film, der gegen alle Erwartungen Erfolg hat, oder der über die lange Strecke Erfolg hat, eine Fan-Szene schafft und Pop-Referenzen in den Mainstream trägt. Und wenn er dann noch zeitlos gut zu gucken ist…
The Big Lebowski (1998) scheint nach dem genial bös-bitteren Fargo (1996) wie ein Gegengewicht im Werk der Coen Brüder. Der Film besteht aus Freundlichkeit, Gleichmut und einer sympathischer Verbimmeltheit der Hauptfigur Jeffrey The Dude Lebowski. Aus der Haltung des Dude lässt siche eine lebens-philosophische Maxime zimmern: Man verhalte sich jederzeit bereit, reagiere aber stets stoisch gegenüber den menschlichen Ab- und Beweggründen und erhole sich vom Streß, den die Welt sich selbst macht, mit Fluchen und Bowling. Ob irre Nihilisten-Nazis, falsche Millionäre, furchtbare aber fruchtbare Künstlerin, Pornoproduzent oder Taxifahrer mit überraschendem Musikgeschmack, ob tanzender Vermieter oder Provinz-Detektiv – Du sollst staunen, lächeln und lässig kommentieren – und dich aufs Wesentliche konzentrieren. So einer ist der Dude. Er packt es. Seine oft unverstandene Ironie, sein großes Herz, seine Verlässlichkeit gepaart mit Antriebslosigkeit, seine im wahrsten Sinne selbstverwirklichte Work-Life Balance ist bewundernswert. Und so wird mein jährliches Lebowski-Gucken auch Meditation über die Frage, worauf es ankommt. Die Antwort gibt immer der Cowboy. Und der Boden eines White Russian Glases.

SECHS:
Ich höre auf das, was ich weglassen kann.
(Miles Davis)

Ghost Note – Was wir nicht hören, aber vermissen würden, wäre es nicht da. Das ist die Ghost Note. Miles war ein Meister dieser Auslassung, ja ganzer Tonreihen, die er nicht spielte und die das Eigentliche noch betonten. Ein künstlerisches Paradox. Wie die Länge einer Pause zwischen zwei Sätzen das Gesagte verändert, wie das Unsichtbare außerhalb des Ausschnitts eines Fotos immer mitgedacht wird und das (sichtbare) Bild beeinflusst, wie die Lücken zwischen einem Jump-Cut im Film von unserem Kopf mit Sinn verknüpft werden.
Vom berühmten Autor Raymond Carver sagt man, sein Lektor habe bei den Kurzgeschichten immer die zwei, drei letzten Absätze rigoros gestrichen – worauf diese eigenartigen Enden, in unser Leben außerhalb des Buches ragten und zu einem Faktor des „Carver Stils“ wurde.
Miles wusste immer, was er spielen und was er weglassen musste. Auch im Leben war er Künstler. Und für mich als Texter dient das Miles Zitat als Maxime: Es gibt kein zu kurz. Es gibt aber sehr oft zu viel, zu lang und breit. Und natürlich lässt sich das auch aufs Leben anwenden. Dumme Leute, dumme Jobs, überflüssiger Kram, Fast Food, schlechte Bücher und Filme, nicht zu rettende Gespräche oder Beziehungen…. usw. usf.

SUPERZAHL:
So can you understand
Why I want a daughter while I’m still young?
I want to hold her hand
And show her some beauty
Before this damage is done
But if it’s too much to ask
If it’s too much to ask
Then send me a son
(Arcade Fire)

Fan der ersten Stunde dieser unglaublichen Band. Begann mit den paar 100 Leuten im Columbia Club in Berlin – geflogt von 2010, einem sehr, sehr bewegten Jahr inklusive Abbruch des einen, Beginn eines neuen Lebens. Und die Band brachte The Suburbs heraus. Mein Album zum Umbruch, zum Point of no return und der Heimkehr in jeder Bedeutung des Wortes.
Das gleichnamige Lied mit der Stophe oben traf mich direkt beim ersten Hören. Ich kann mich heute noch an den Moment erinnern und irgendwo hinten im Nacken kribbelt es wieder.

Die ganze fantastische Platte traf, bevor ich einige Monate später selbst Vater einer Tochter wurde, wenn auch so gar nicht mehr „still young“, sondern 40. Die noch nicht geborene Tochter hörte auf einem Konzert in Düsseldorf im Bauch ihrer schönen Mutter, die uns eben mit diesem Bauch ganz vorn an die Bühne brachte. What a night es wurde. Keine Ahnung ob ich je bei einem Konzert mehr am Leben war.

Die Band, dieses Album, das Konzert und dieses Lied wird ewig mit dem Jahr und all dem Guten&Schönen verbunden sein, das damals begann. Und bei jedem Konzert zerreißen die Töne und Worte von The Surburbs alle Schmutzschichten und Schutzschichten – und der weite Weg aus meinen eigenen Suburbs zum Jetzt&Hier wird wieder spürbar.

Sometimes I can’t believe it
I’m moving past the feeling again