Kluge Frauen und Männer gibt es viele. Witzige nicht ganz so viele. Und ganz wenige, die es zusammenbringen. Und dann gibt es die tollen, mies gelaunten Schweremüter, die klar sehen. In den vergangen fünf Jahrzehnten hingen immer wieder mal Zettel über meinem Schreibtisch mit Zitaten oder Aphorismen oder dummen kleinen Insider-Sprüchen, denen es gelang, dem Leben und Sein eine Erkenntnis abzuringen und über zwei oder auch mal fünf Sätzen zu kondensieren.

Natürlich stehen die auch immer für eine bestimmte Laune, Frage oder Stimmung in meinem Leben, sind Zeitgeist im besten Sinn – auch in ihrer Banalität oder weil das pop-kulturelle Zeichenspielchen einfach Spass macht. Wer hat auch den Film gesehen, kennt diese Zeile aus dem Song, hat das auch schon erlebt? – ein Zitatezeige&Ratespiel. Ein bisschen Eitelkeit ist natürlich auch dabei, wenn man Zitate postet, an der Wand aufhängt oder als Email Signatur benutzt oder auf T-Shirts druckt.

Ich habe die „6 aus 49 plus Superzahl“-Zitate gesucht, die mir noch heute was sagen, oder wo ich mich zumindest an den Grund erinnere, warum ich die mal gut fand. Die meisten sind hoffentlich nicht bloß schlaumeierisch, sondern ein bisschenb klug, witzig, mit doppeltem Boden oder sie entwickeln in ihrer Trübsinnigkeit Kraft.

EINS:

“Welchen Tag haben wir?“ fragte Pooh. „Es ist heute!“, quiekte Ferkel. „Mein Lieblingstag!“
Aus Winnie Pooh

Das ist das eine Vorlesebuch für Kinder, bei dem die vorlesenden Eltern nicht am liebsten aufstöhnen würden über die sprachliche Unterforderung, die banale Lebensphilosophie und Zeigefingerpädagogik so vieler andere „Vorlesebücher“.
Manchmal war es mir sogar etwas zu kompliziert erzählt: Wer spricht da jetzt? Christopher Robin oder Vater von Christopher Robin, wer erzählt das alles über Pooh, Ferkel, I-Ah, Ruh, Kaninchen usw.? Vielleicht war ich auch nur müde – im Gegensatz zu den Kindern neben mir.

Dümmliche Helden haben in Film und Literatur nicht den besten Ruf. Pooht weiß, dass er ein Bär „von geringem Verstand“ ist. Vielleicht kommt er ja deswegen so gut klar. Weil er die Dinge nicht so ernst nimmt und trotzdem versteht, weil er einfach mal Sachen probiert und wenn er aufs Maul fällt, eben mehr weiß. Weil er Freunde hat und Freunden hilft, weil er das Leben liebt. Und er muss dabei nicht immer das Richtige tun oder die Geschichte beeinflussen oder „das Herz am rechten Fleck haben“ wie der unerträgliche Bruder im Geist Forrest Gump.
Das tolle Zitat kommt dann aber von Ferkel, dem kleinen Freund, der im Buch unsere Ängstlichkeit und Vorsicht repräsentiert. Dass ausgerechnet Ferkel ganz buddhistisch im Jetzt lebt, wie das Zitat belegt, ist eine herrliche Idee, die jedem ängstlichen Menschen als einzigen Ratschlag genügen könnte. Und so fröhlich-optimistisch wie Ferkels Worte, wünschte ich mir, würden meine Kinder immer leben.

ZWEI:

Somewhere along the line I knew there would be girls, visions, everything, somewhere along the line the pearl would be handed to me. Jack Kerouac, On the Road

Hier treffen sich Lieblings-Bücher und Zitate. Ich bin in meinen Zwanzigern einer von diesen jungen Menschen seit 1957 gewesen, die von den Büchern der Beat Generation, auf die Straße gebracht wurden, die einfach losmachten und schauten, was es gab da draußen. Anhalter fahren, Reisen ohne Plan, Freiheit testen, Exzesse und Niederlagen, Irrungen und viel flüchtiger Spass. Mancher mag sich auf diesem Weg selbst begegnet sein und dann darüber geschrieben haben. Und ein paar haben die Phase einfach beendet und sind – ich nenne es mal „nützliche Teile“ der Gesellschaft geworden.

Ich kann trotzdem bis heute keine nächtlichen Solo-Autofahrten machen ohne an On the Road zu denken, ich kann noch immer die ersten Zeilen von Howl auswendig und habe beim Versuch die beiden Welten (Beat und Bundesrepublik) damals sogar zwei Jahre an einer Doktorarbeit über die zivilreligiösen Wurzeln der Beat Generation geschrieben – bevor ich verstand, dass ich zwar schreiben will, aber nicht für die Uni.
Das Zitat fand ich in einem meiner Reisetagebücher als Motto. Es kondensiert den Tanz zwischen Banalität und Lebensklugheit, zwischen Bewegung und Hoffnung, Männlichkeit und Mystik, den man in allen Büchern von Kerouac findet. Er war der hübsche Loner, der Mitfahrer und Beobachter, der später in Katholizismus und Alkoholismus versank, als sein Leben und Werk nicht mehr in Deckung kamen. Die maximale Fallhöhe, das maximale Selbstbewusstsein und die ganz US-typische Bindungslosigkeit bei dem gleichzeitig ganz großen Wunsch nach Tiefe – das finde ich noch immer in seinen Büchern und beim Lesen dieser einen, hoffnungsvoll naiven Zeile.

DREI:

Ein Schiff ist im Hafen sicher, aber das ist nicht, wofür Schiffe da sind.
(Plakat im Hafen von Dublin)

Alleinreisen ist ja was Tolles. Und schrecklich. Man begegnet sich die ganze Zeit selbst (besonders den eigenen Unfähigkeiten), ist sehr wach, entdeckt in Alltagssituationen Symbole über unser Leben oder in den Blicken einer Fremden das ganze Dilemma der Gefühle. So wach und dünnhäutig ist man nur allein in fremden Städten und Ländern.

Nach Dublin bin ich irgendwann in den Nullerjahren allein gereist, die Band U2 baute gerade im Hafen ein gläsernes Hochhaus,…aber noch war es nicht so irre teuer und der Crash 2008 sollte erst noch kommen.
Ich lief planlos herum, trank ab mittags Guinness und wusste auch angeduselt nicht, was ich eigentlich suchte – fand aber auch wenig Überraschendes in der Stadt.
Bin mit einem Bus raus gefahren ans Meer, die Klippen entlang gewandert und dort endlich dieses Inselgefühl bekommen. Zurück in die Stadt im Dauerregen bei einer Platte von der irischen Band The Frames im Bus heulen müssen. Es war eine komische Zeit. Aber Alleinreisen war genau das richtige Komisch oben drauf.

Am alten Hafen von Dublin entdeckte ich abends das Poster der Unitarischen Kirche. Taugt als Lebensmotto, dachte ich. Seltsam, dass Irland nie eine Seefahrer- oder Entdeckernation war – obwohl sie ja eine Schiffsbaunation waren und in Belfast z.B. die Titanic bauten. Aber sie liebten offenbar zu sehr ihren Hafen.

Deswegen war der Spruch wohl auch keine Seefahrerweisheit. Ein Schiff wird gebaut, dann fährt es los und kehrt vielleicht nie zurück. Unser Leben ist dieses Schiff, der Hafen die heimische Scholle, die Familie, das vertraute Leben. Vielleicht geht es auch darum, wie man ein Jemand wird, sobald man Menschen (Ländern, Abenteuern) begegnet. Wir suchen, versuchen, entdecken – das wäre sonst kein Leben. Aber dafür müssen wir gar nicht wortwörtlich reisen oder aufs Meer hinaus fahren. Aber wir müssen, glaube ich, immer bereit sein, es zu tun.